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Extremstandorte

 

EXTREME VIELFALT! ODER: WAS IST EIGENTLICH NORMAL?

Unser diesjähriges Schwerpunktthema ist den Überlebenskünstlern gewidmet. Wir wollen die Spezialisten unter den Pflanzen, Tieren und Pilzen in den Fokus rücken, die selbst an den unwirtlichsten Orten und unter extremsten Bedingungen existieren können, wie zum Beispiel unser diesjähriges Maskottchen: die Blauflügelige Ödlandschrecke

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, diese Sonderstandorte beherbergen eine Vielzahl von hochspezialisierten Arten. Mehr noch: Im Vergleich zu Normalstandorten leben dort überdurchschnittlich viele seltene oder vom Aussterben bedrohte Tiere, Pflanzen und Pilze. Durch das Bundesnaturschutzgesetz („Gesetzlich geschützte Biotope“) sind Moore, Flussufer, Altarme, Nasswiesen, Bruchwälder, Höhlen, Salzwiesen, Trockenrasen, Binnendünen, Geröllhalden, Heideflächen und viele weitere Biotope geschützt. Die Stadt Hamburg hat im Gesetz zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes Bracks, Feldhecken, Knicks und Feldgehölze als geschützte Biotope ergänzt. Maßnahmen, die zu einer Zerstörung oder einer erheblichen Beeinträchtigung dieser Biotope führen können, sind – mit Ausnahmen – verboten. In den letzten Jahrhunderten hat der Mensch jedoch, bewusst und unbewusst, immer wieder in die Natur eingegriffen und Sonderstandorte verändert. Moore und Feuchtwiesen wurden entwässert, Flussufer begradigt, Bruchwälder gerodet, Geröllhalden abgetragen, Torf und Sand abgebaut. Beim Langen Tag der StadtNatur möchten wir euch daher auch Standorte zeigen, die erst durch den Einfluss des Menschen „extrem“ geworden sind.


 

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Grußwort unseres Schirmherrn Jens Kerstan

Senator für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft

 

Wir laden euch herzlich ein, die vielfältigen Extremstandorte und ihre Besonderheiten am Langen Tag der StadtNatur 2024 zu erkunden, seien sie nun extrem trocken, extrem wechselhaft, extrem sauer, extrem gefährdet, extrem verdichtet, extrem verlassen oder extrem giftig.

Die weitläufige Düne ist Teil des Naturschutzgebiets Boberger Niederung © Linus Koch<br>

Die weitläufige Düne ist Teil des Naturschutzgebiets Boberger Niederung © Linus Koch

Zauneidechsen bevorzugen trockene, magere, warme Standorte wie Dünen und Heideflächen. © Axel Jahn<br>

Zauneidechsen bevorzugen trockene, magere, warme Standorte wie Dünen und Heideflächen. © Axel Jahn

Extrem trocken

Der Sand unter den Füßen ist heiß, ein Flirren liegt in der Luft, nirgendwo ein Baum, in dessen Schatten man sich abkühlen könnte. Kein Zweifel, hier ist es extrem trocken. Wer in Binnendünen lebt, muss hart im Nehmen sein. Der nährstoffarme Boden speichert kaum Wasser, die Temperatur des Sandes schwankt stark: Bei Sonneneinstrahlung heizt er auf, abends kühlt er schnell ab, die spärliche Vegetation bietet nur wenig Nahrung und Schutz. Kann hier wirklich jemand leben? Ja! Wer sich Zeit nimmt und genau hinschaut, kann viele Arten entdecken, die sich an die Bedingungen angepasst haben. Silbergras und Sand-Segge wachsen hier, Dünen-Sandlaufkäfer nutzen die Umgebung zum Jagen, Grabwespen und Sandbienen bauen ihre Niströhren in den Sand. Ameisenlöwen graben Trichter, um Nahrung zu fangen. Gleichzeitig nutzen sie die Trichterwände als Hitzeschutz, da sich diese weniger stark aufheizen. Eidechsen vergraben ihre Eier im Sand und lassen sie von der Sonne ausbrüten.

Die eindrucksvollen Dünenlandschaften, wie in Boberg und bei Stixe, gehören zu den charakteristischen Lebensräumen des Urstromtals der Elbe. Und sie sind keineswegs statisch, sondern noch immer in Bewegung. Vom Sand verschüttete Kiefern in der Stixer Wanderdüne zeugen von der Aktivität, die ihr bei windigem und trockenen Wetter sogar selbst beobachten könnt.

Trocken und nährstoffarm sind auch die Flächen der Lüneburger und Fischbeker Heide, bei denen es sich um vom Menschen geschaffene Kulturlandschaften handelt. Durch die Abholzung großer Waldgebiete entstanden offene Flächen, auf dem sandigmageren Boden findet nicht nur die Besenheide ideale Bedingungen vor. Heidelerche und Ziegenmelker fliegen durch die Luft, Wildbienen summen umher, Zauneidechsen huschen am Boden entlang. Damit dieser einzigartige Lebensraum erhalten bleibt, muss er durch Schafbeweidung offengehalten werden.

Extrem wechselhaft

Durch ihre einzigartige Flussmündung ist die Elbe gleich in mehrfacher Hinsicht ein wechselhaftes Gewässer mit vielen Extremstandorten: sie ist mal trocken, mal nass, mal süß, mal salzig. Das Wechselspiel aus Ebbe und Flut schafft ganz besondere Landschaften und Ökosysteme entlang der Tideelbe: beispielsweise Tide-Auenwälder, wie sie in den Naturschutzgebieten Heuckenlock und Schweenssand eindrucksvoll zu finden sind. Diese besonderen, artenreichen Lebensräume zeichnen sich durch die gezeitenbedingten Nass- und Trockenphasen aus, die nur von Flora, Fauna und Funga mit hoher Störungstoleranz besiedelt werden können. Sie müssen über Methoden der Anpassung verfügen, die häufige mechanische Wechsel wie Wellenschlag, Eisgang und Sedimentation bestehen.

Zwischen Cuxhaven und Stade befindet sich die sogenannte Brackwasserzone, in der sich das Salzwasser aus der Nordsee mit dem Süßwasser der Elbe vermischt. Ein permanenter Wechsel des Salzgehaltes zeichnet diese Gezeitenzone aus und stellt hohe Anforderungen an die pflanzlichen und tierischen Bewohner. Süßwassertolerante Arten aus dem Meer wie Stint und Miesmuschel treffen hier auf salzwassertolerante Arten aus dem Süßwasser. In diesem Teil der Tideelbe sind zudem endemische Arten, die also nur an diesem Ort vorkommen, wie Wiebel-Schmiele und Schierlings-Wasserfenchel heimisch. Diese Arten sind neben den extremen Lebensbedingungen zusätzlich durch menschliche Einwirkungen bedroht, dazu zählen die Elbvertiefung und -begradigung sowie Giftstoffe aus dem Hafenbetrieb.

Richtung Nordsee, entlang des Elbufers und auf manchen Elbinseln, finden sich tidebedingte Salzwiesen. Etwa Asselersand oder Krautsand werden zum Teil von Salzwasser überflutet, wodurch sich Schwebteilchen ablagern, die einen einzigartigen Lebensraum zwischen Land und Meer formen. Hier leben hoch angepasste Pflanzen und Tiere wie etwa Queller oder die Grasnelke, Blume des Jahres . Direkt an der Elbmündung im Hamburgischen Wattenmeer und entlang der Nordsee finden sich weitere Salzwiesengebiete. Gemeinsam mit dem von den Nordseegezeiten geprägten Wattenmeer bilden sie weitere Extremstandorte.

Der Auenwald im Heuckenlock wird zweimal am Tag mit Süßwasser geflutet. © Hanna Judaschke<br>

Der Auenwald im Heuckenlock wird zweimal am Tag mit Süßwasser geflutet. © Hanna Judaschke

Die Grasnelke, Blume des Jahres 2024, verträgt Salz und Trockenheit. © Julian Denstorf<br>

Die Grasnelke, Blume des Jahres 2024, verträgt Salz und Trockenheit. © Julian Denstorf

Das Wittmoor konnte erfolgreich nranturiert werden. © Axel Jahn<br>

Das Wittmoor konnte erfolgreich nranturiert werden. © Axel Jahn

In Mooren leben viele Libellen, wie z.B. die Feuerlibelle © Rainer Reimer<br>

In Mooren leben viele Libellen, wie z.B. die Feuerlibelle © Rainer Reimer

Extrem sauer

Sonnentau, Libellen, Moorfrosch und Kreuzottern: in Mooren lebt eine Vielzahl von hochspezialisierten Arten. Geprägt werden Moorlandschaften von Torfmoosen, die die Grenzen zwischen Wasser und Land verschwimmen lassen. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass Moore sauer sind. Obwohl sie keine Wurzeln haben, wachsen sie unermüdlich nach oben und können selbst Nährstoffe, die in geringster Konzentrationen im Wasser vorhanden sind, aufnehmen. Dabei geben sie Wasserstoffionen ab und schaffen so ein saures Milieu, in welchem nur wenige andere Arten überleben können. 

In Hamburg und der Metropolregion gibt es nur noch wenige intakte Moore. Viele Moorflächen wurden entwässert, um sie für die Landwirtschaft zu nutzen. Beim Langen Tag der StadtNatur gibt es dennoch viele Möglichkeiten, Moore, ihre Geschichte und ihre hochspezialisierte Flora und Fauna zu erkunden, zum Beispiel im Himmelmoor, im Wittmoor, im Ohmoor, im Raakmoor, im Laaver Moor oder im Aschhorner Moor.

Extrem gefährdet

Immer mehr Tier- und Pflanzenarten werden in Deutschland auf den Roten Listen geführt. Mehr als 30% der Gefäßpflanzen, 50% der Amphibien und 40% der Vögel gelten als gefährdet. Eine der Hauptursachen ist der Verlust von Lebensräumen, unter anderem durch Versiegelung und Bebauung. Auch in Hamburg gab und gibt es wertvolle Lebensräume, die Bebauungsplänen zum Opfer fallen soll(t)en. Sie sind extrem gefährdet.

Der Vollhöfner Wald, der sich fast 60 Jahre lang frei auf einem Spülfeld am Hamburger Hafen entwickeln konnte, ist ein Beispiel dafür. Aber auch Flächen am Diekmoor und im Moorgürtel, die Wildnis in Altenwerder und sogar Kleingärten sind extrem gefährdet.

Weiden, Erlen und Totoholz prägen die Altenwerder Wildnis  © Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald<br>

Weiden, Erlen und Totoholz prägen die Altenwerder Wildnis  © Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald

Wenn Flächen im Moorgürtel bebaut werden, wird das Blaukehlchen wichtige Lebensräume verlieren. © Axel Jahn<br>

Wenn Flächen im Moorgürtel bebaut werden, wird das Blaukehlchen wichtige Lebensräume verlieren. © Axel Jahn

Straßenbäume in Hamburg © Holger Bublitz<br>

Straßenbäume in Hamburg © Holger Bublitz

Vielfalt zwischen Pflastersteinen © Elke Bergmann<br>

Vielfalt zwischen Pflastersteinen © Elke Bergmann

Extrem verdichtet

Eine Großstadt wie Hamburg stellt durch die dichte Bebauung an sich schon einen Extremstandort dar, wie ihr bei einer Exkursion mit der Wärmebildkamera durch Altona erfahren könnt. Grünflächen in der Stadt sind daher unerlesslich, nicht nur für uns und das Mikroklima, sondern auch für die Artenvielfalt. Viele Pflanzen und Tiere haben in Dachgärten, an Fassaden, auf Verkehrsinseln, an Bahndämmen, in kleinen Erholungsräumen zwischen den Häuserzeilen ihre Nischen gefunden. Zwischen Pflasterfugen zeigen sich zarte Blätter, auf Mauern wachsen Moose, Vögel - wie der Mauersegler im Schenefelder Holt oder der Spatz in der Hafencity - haben ihre Habitate gefunden. Dennoch stehen die Arten, die in der Stadt überleben, unter großem Druck, wie nicht zuletzt unsere Straßenbäume zeigen.

Am Langen Tag der StadtNatur stellen wir euch daher auch viele Initiativen vor, die der Natur ihren Platz in der Stadt einräumen, dazu gehören zum Beispiel der Marmorgarten und der Stephanusgarten, aber auch die Fassdenbegrünung am Desy oder die Dachgärten am Inselpark. Und wer hätte das gedacht: Sogar der Weinanbau ist in Hamburg möglich, wie die Stintfang Winzer beweisen.

Extrem verlassen

Als extrem verlassen bezeichnen wir Orte, die in der Vergangenheit durch Menschen z. B. militärisch, industriell oder infrastrukturell genutzt oder übernutzt wurden und heute mehr oder weniger der Natur überlassen sind. Truppenübungsplätze sind ein gutes Beispiel dafür: Das NSG Höltigbaum am Rande zu Schleswig-Holstein war früher ein Truppenübungsplatz, der eine steppenartige Landschaft mit seltenen Pflanzen und Tieren entstehen ließ – heute ist sie ein Naturschutzgebiet.

Die Sievertsche Tongrube in Hummelsbüttel ist nach industrieller Nutzung heute ein Naturdenkmal, auf dessen kalkhaltigen Böden sich eine besondere Pflanzenwelt entwickelt hat: Neben Nickendem Löwenzahn sind Augentrost und Tausendgüldenkraut zu finden.

Ein Loste Place der besonderen Art ist das Geisterdorf Lopau im Naturschutzgebiet Oberes Lopautal, das ihr am Langen Tag der StadtNatur besichtigen könnt. Auch Veranstaltungen auf dem ehemaligen Übungsgelände des Bundesgrenzschutzes in Vierhöfen, am Alten Grenzturm in Darchau sowie in der Segeberger Kalkberghöhle stehen auf dem Programm.


Eine Wüste vor den Toren Hamburgs: Kieswerk Zweedorf @ Geopark Nordisches Steinreich<br>

Eine Wüste vor den Toren Hamburgs: Kieswerk Zweedorf @ Geopark Nordisches Steinreich

Der Augentrost ist ein Halbschmarotzer, der das Wasserleitsystem anderer Wiesenpflanzen anzapft @ Axel Jahn<br>

Der Augentrost ist ein Halbschmarotzer, der das Wasserleitsystem anderer Wiesenpflanzen anzapft @ Axel Jahn

Auf dem Gelände des ehemaligen Recyclinghofs in Hammerbrook entsteht seit 2019 ein neuer öffentlicher Park @ Antje Sauer<br>

Auf dem Gelände des ehemaligen Recyclinghofs in Hammerbrook entsteht seit 2019 ein neuer öffentlicher Park @ Antje Sauer

Alle Teile des Jakobsgreiskrauts sind giftig @Axel Jahn<br>

Alle Teile des Jakobsgreiskrauts sind giftig @Axel Jahn

Extrem giftig

Der Energieberg in Hamburg - Georgsweder ist nicht nur verlassen, sondern war vor allem auch extrem giftig. Aus der ehemaligen Mülldeponie ist ein Modell nachhaltiger Stadtentwicklung geworden, denn auf dem Energieberg stehen Windenergie- und Photovoltaikanlagen, die viele Haushalte mit Strom versorgen. Auch die Natur rund um den Berg regeneriert sich, sodass sich mittlerweile viele heimische Arten, wie das giftige Jakobs-Greiskraut, angesiedelt haben.

Zu einem giftigen Extremstandort für Natur und Mensch entwickelt sich auch mehr und mehr der Eichbaumsee an der Dove-Elbe im Südosten Hamburgs: Seit rund Jahren ist der See in heißen Sommern regelmäßig von Blaualgen befallen, was das Gewässer nicht nur für Menschen giftig macht, sondern auch für die Flora und Fauna des Sees.

Eine Besonderheit in Hamburg sind die Spülfelder. Hier wird der durch die Ausbaggerung der Elbe anfallende Schlamm abgelagert, welcher mal mehr, mal weniger stark mit Schwermetallen und weiteren Giftstoffen belastet ist. Expert*innen werden beim Langen Tag der StadtNatur das Spülfeld Francop auf Tier- und Pflanzenarten untersuchen. Wir sind auf die Ergebnisse dieses „Bio-Blitzes“ gespannt.

Unser Maskottchen 2024: Die Ödlandschrecke

Die Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens) ist eine Meisterin der Tarnung. Mit jeder Larvenhäutung nähert sich ihre braungrau-marmorierte Färbung immer mehr der Farbe des Untergrunds an, auf welchem sie lebt. Ihr Name lässt schon erahnen, welche das sind: vegetationsarme Sand- und Kiesflächen. 

An das Leben auf dem Boden ist die Schrecke spezialisiert und bewegt sich meist zu Fuß fort, obwohl sie fliegen kann. Nur bei größter Gefahr springt sie auf. Ihre hellblauen Flügel schließt sie jedoch bereits vor der Landung wieder, um Verfolger in die Irre zu führen und um ihren Landeplatz nicht zu verraten. In Hamburg gilt sie laut Roter Liste als gefährdet und kommt z. B. in den Boberger Dünen und der Fischbeker Heide vor.

 
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